Zwischen Realität und Einbildung: Das Leben mit einer paranoiden Schizophrenie
Schizophrenie

Zwischen Realität und Einbildung

Das Leben mit einer paranoiden Schizophrenie

Das Interview

Stell dir vor, du hast täglich das Gefühl, Stimmen zu hören die schlecht über dich reden. Nur wenige Menschen in der Schweizer Bevölkerung sind von der schweren psychischen Krankheit paranoide Schizophrenie betroffen und müssen tagtäglich mit diesen Symptomen klarkommen. Eine betroffene Person erzählt, wie man mit einer Krankheit umgeht, die oft unverständlich und schwer zu behandeln ist. von Aline Albrecht

Warst du vor der Diagnostizierung deines Familienmitgliedes mit dieser Krankheit bekannt?

Ich kannte zwar den Namen dieser Krankheit, jedoch nicht wirklich was es damit auf sich hat. Als der Arzt die Diagnose bei meinem Familienmitglied stellte, wurde mir bewusst, dass ich mich zuerst über die Krankheit informieren muss. Man denkt nicht allzu sehr über eine psychische Krankheit nach, solange man nicht selbst in irgendeiner Weise betroffen ist.

Was waren die ersten Anzeichen einer paranoiden Schizophrenie bei dem Familienmitglied?

Alles begann damit, dass sie uns davon berichtete, dass ihr Nachbar schlecht über sie spreche. Anfangs machten wir uns darüber keine grossen Gedanken. Doch als sie das Thema wieder ansprach, beschlossen wir den Nachbarn darauf anzusprechen. Zu unserer Überraschung war der Nachbar über unsere Vorwürfe verwirrt und hat gesagt, dass er davon nichts wisse. Zusätzlich erwähnt sie auch, dass Mitten in der Nacht Leute heimlich um ihren Block schleichen und sie verfolgen und beobachten. An diesem Punkt haben wir realisiert, wie ernst die Situation ist. Sie nannte Nachbarn beim Namen, welche jedoch frei erfunden waren. Sie beharrte aber darauf, dass die Leute existieren. Das Ganze hat ein solches Ausmass angenommen, dass sie bei der Polizei angerufen und gesagt hat, dass ihr jemand etwas antun will.

Schizophrenie
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Wie haben sich diese Symptome weiterentwickelt?

Während dieser Zeit hat sie extreme Angstzustände entwickelt und sich verfolgt gefühlt. Sie erwähnte auch, dass sie sich in ihrer Wohnung nicht mehr sicher fühle und an einen anderen Ort ziehen will. Nachdem sie umgezogen war, verbesserten sich die Symptome deutlich, aber nach circa zwei Monaten kehrte alles wieder zum Alten zurück. Sie begann sich vollständig in ihre eigene Welt zurückzuziehen und grenzte sich von der Aussenwelt ab. In letzter Zeit hatte sie auch mehrmals das Gefühl, dass jemand Geld von ihrem Bankkonto abheben möchte und fragte mich, ob das überhaupt möglich ist.

Welche Schritte hast du unternommen, um dein Familienmitglied zu unterstützen?

Es ist sehr schwierig, jemand in einer solchen Situation zu unterstützen. Zu Beginn haben wir versucht, ihr klarzumachen, dass diese Stimmen nicht real sind, doch das hat nicht geholfen. Wir haben einen Arzt kontaktiert, um uns in dieser Situation helfen zu lassen. Er hat uns dann erklärt, dass sie an einer paranoiden Schizophrenie leidet und ein stationärer Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik eine gute Option wäre. Als wir unserem Familienmitglied von diesem Vorschlag berichtet haben, wehrte sie sich dagegen. Ohne ihre Einwilligung ist es nicht möglich, jemanden gegen ihren Willen in eine psychiatrische Klinik einzuweisen. Nach drei Monaten hin und her hat sie schliesslich zugestimmt, einen stationären Aufenthalt zu machen. Ursprünglich war ein längerer Aufenthalt geplant, aber nach 14 Tagen hat unser Familienmitglied sich selbstständig aus der Klinik entlassen. Die Zeit in der Klinik hat ihr sehr gutgetan, da sie rund um die Uhr betreut wurde und unter Menschen war. Nach der Rückkehr nach Hause hat sich die Situation innert kurzer Zeit wieder verschlechtert.

Wie hat sich die Krankheit auf die gesamte Familie ausgewirkt?

Die Krankheit hat sich stark auf unsere Familie ausgewirkt. Es ist eine zeitaufwendige Aufgabe, da unser Familienmitglied in gewissen Bereichen nicht mehr selbstständig ist. Wir müssen sie bei Arztbesuchen, der Einnahme von Medikamenten oder beim Einkaufen unterstützten. Die emotionale Belastung für die gesamte Familie ist ebenfalls sehr hoch. Wir benötigen viel Verständnis und Geduld im Umgang mit unserem Familienmitglied. In viele Situationen können wir uns nicht vorstellen, was in ihr vorgeht und wie wir darauf reagieren sollen. Es ist eine grosse Herausforderung, aber wir geben unser Bestes, ihr die Unterstützung zu bieten, die sie braucht.

Wie geht dein Familienmitglied mit dieser Krankheit um?

Seit sie täglich unter diesen Symptomen leidet, lebt sie sehr zurückgezogen und hat fast sämtliche Beziehungen zu Freunden und Bekannten abgebrochen. Ihr Interesse an der Aussenwelt hat stark abgenommen. Man könnte fast sagen, dass sie aufgrund der Krankheit nicht mehr aktiv am Leben teilnimmt. Es scheint, als ob sie ihre Krankheit nicht wirklich wahrnimmt, was die Situation für uns umso schwieriger macht. Als Familie fördern wir die Beziehung mit ihr sehr, doch eine Eigeninitiative für Aktivitäten von ihrer Seite aus, ist leider eher selten.

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Was würdest du anderen Leuten empfehlen, welche in der gleichen Situation sind?

Ich glaube der wichtigste Punkt im Umgang mit einer Person die paranoide Schizophrenie hat, ist grosses Verständnis zu zeigen und viel Geduld zu haben. Auch ist es wichtig zu verstehen, dass der Weg, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, keine Abschiebung einer Person bedeutet, sondern vielmehr zu Unterstützung beiträgt.

*alle Personen in diesem Interview möchten anonym bleiben

Das ganze Interview ist auch als PDF zum Download verfügbar.